22. September 2018

Ende des Zweiten Weltkriegs im Südwesten

Dr. Heinrich Schwendemann schilderte beim 8. Nordracher Geschichtstag die letzten Kämpfe. Am vergangenen Samstag lud der Historische Verein Nordrach wieder zu einem Geschichtstag ein.

Der Vorsitzende des Historischen Vereins, Herbert Vollmer, bedankte sich bei Referent Dr. Heinrich Schwendemann mit Erzeugnissen aus Nordrachs »Saftladen«

Die Idee zu dieser jährlichen Veranstaltung, war anfänglich von Vorstandsmitglied Rolf Oswald ausgegangen, der jedoch aus gesundheitlichen Gründen, wie schon im vergangenen Jahr, daran nicht teilnehmen konnte. Zunächst referierte Dr. Heinrich Schwendemann über die Besetzung Südbadens durch die Franzosen, danach schilderte Othmar Wolf, wie er in Nordrach als Bub den Einzug der Marokkaner erlebt hatte.
Zunächst wünschte Herbert Vollmer, Vorsitzender des Historischen Vereins, dem Vorstandsmitglied Rolf Oswald, gesundheitliche Besserung. Mit dem Geschichtstag im September wolle immer auch an die 27 jüdischen Personen, Patienten und Personal der ehemaligen Rothschildklinik erinnert werden. Diese wurden am 29. September 1944 von Nationalsozialisten verschleppt und umgebracht. Ihrer gedachten am Samstagabend Veranstalter und Besucher mit einer Schweigeminute.

Schwendemann stellte an den Anfang seiner Ausführung die Formierung der frz. Armee bei Marseille im August 1944. Deren Truppen sollten später Südbaden und Rheinland-Pfalz besetzten. Sie setzten sich zusammen aus Soldaten des sog. Vichy-Regimes im südlichen Teil Frankreichs, dem die Deutschen lange Zeit eine gewisse Autonomie zugestanden hatte. Hinzu traten Kämpfer der frz. Untergrundbewegung »Résistance«. Ein großes Kontingent stellten die Kolonialsoldaten aus Nordafrika, namentlich die Marokkaner. Das Oberkommando übernahm General de Gaulle, der aus dem Exil in London nach Frankreich zurückgekehrt war. Unterstützt wurde der frz. Truppenaufbau durch die Amerikaner. Die frz. Truppen drängten die deutsche Wehrmacht im Rhônetal zurück und überquerten im Winter 1944/45 die Vogesen. Straßburg wurde nahezu kampflos eingenommen. Im März 1945 ging es bei Kehl über den Rhein. Die deutsche Wehrmacht hatte sich auf die Verteidigung des Westwalls konzentriert. Die frz. Truppen vermieden jedoch eine Auseinandersetzung an dieser Linie. Vielmehr strebten sie auf direktem Weg auf den Schwarzwald nach Freudenstadt, um von dort aus das Gebiet Zug um Zug einzunehmen. So kam es, dass z. B. in Nordrach die Franzosen nicht das Tal hinauf, sondern von den Höhen herabkamen, wie Zeitzeugen an diesem Abend bestätigten. Nach einer Umfrage der Amerikaner wurde ihre Besatzung von der deutschen Bevölkerung relativ freundlich aufgenommen. Die Engländer seien dagegen weniger beliebt und bei den Franzosen gingen die Sympathien gegen Null. Schwendemann wollte dieser sicherlich von den Amerikanern geschönten Betrachtung im Tenor nicht wiedersprechen. Er gab aber zu bedenken, dass zuvor die Deutschen die Engländer bombardiert und Frankreich besetzt und ausgebeutet hatten. Ein gewisses Vergeltungsdenken habe bei diesen Alliierten nahegelegen. Die Franzosen hätten versucht, sich durch die Demontage von Maschinen und flächenhafte Holzeinschläge für die vierjährige deutsche Besatzung zu entschädigen.

Schwendemann sah einen großen Unterschied zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 und dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945. Im Ersten Weltkrieg hätte das Militär schließlich die Aussichtslosigkeit des Kampfes eingesehen und Bereitschaft zu einem Waffenstillstand
gezeigt.

Dadurch sei das Kriegsgeschehen nicht in das Reichsgebiet getragen worden. Dagegen hätten im Zweiten Weltkrieg Hitler und seine Anhänger die Parole ausgegeben: Sieg oder Untergang. Die Generalität habe sich dieser Selbstzerstörung nicht widersetzt. Einzelne Soldaten, welche der Sinnlosigkeit durch Flucht zu entfliehen suchten, wurden vor ein Standgericht gestellt und erschossen. Gleichzeitig haben sich »Goldfasane«, wie die SS-Führer genannt wurden, in letzter Minute mit ihren Fahrzeugen aus dem Staub gemacht.

Zeitzeugen-Berichte

Der heute in Freiburg lebende, in Nordrach geboren und aufgewachsene Othmar Wolf erzählte, wie er als 12-Jähriger amerikanische Tiefflieger über Nordrach erlebte. Einer der Bombenabwürfe habe einen Altersgenossen tödlich getroffen. Er saß unglücklicherweise im Führerhaus eines ins Schussfeld geratenen Lastwagens. Da die Kampfflieger ohne Vorwarnung kamen, hätte niemand den öffentlichen Luftschutzkeller aufsuchen können.

Wolf berichtete von der Sprengung einer Brücke durch deutsche Soldaten auf dem Rückzug. Als die Marokkaner heranrückten verlangten sie, dass binnen weniger Stunden die Brücke von Nordrachern wieder befahrbar gemacht werden müsse, andernfalls werde der Bürgermeister erschossen. In aller Eile seien Baumstämme und Bretter über den Bach gelegt worden.

Die fremdländischen Soldaten hätten bei den Buben Neugierde geweckt. Angst hätten er und seine Kameraden vor ihnen nicht gehabt. Die Marokkaner hätten sich sogar gerne mit den Buben fotografieren lassen.

Als amerikanische Soldaten nachrückten hätten sie es als Buben genossen im Jeep mitfahren zu dürfen. Nach Einbruch der Dunkelheit hätte er mit einem der Soldaten, die in der ehem. Rothschildklinik einquartiert waren, über den Zaun Schnaps gegen Kaugummi und Schokolade getauscht.

Frühere Berichte

Zwei Zeitzeugen-Berichte lagen an diesem Abend schriftlich vor. Egbert Hoferer hatte sie in den Archiven ausgegraben und an eine Stellwand geheftet. Der eine stammte von Ortspfarrer Nöltner. Er hielt in einem verlangten Bericht an die Kirchenbehörde in Freiburg fest, dass am 28. Februar 1945 ein Bombenangriff auf Nordrach-Kolonie erfolgt sei, der Militärlastwagen gegolten habe. Am 18. April 1945 habe es einen Fliegerangriff mit Bordwaffen gegeben, bei dem ein Knabe im Alter von fünf Jahren getötet worden sei.#Am 19. April 1945 sei die Besetzung des Tales erfolgt, schrieb der Pfarrer weiter. »Gegen Mittag waren alle Höhen ringsum von franzö­sischen Truppen (Marokkanern) genommen. Zu Gefechten kam es auf der Höhe des Mühlsteines und im Untertal, wobei acht Soldaten und Volkssturmmänner fielen, die auf dem hiesigen Friedhof
ihr Heldengrab gefunden haben. Eine Brücke wurde im Dorf gesprengt und dadurch mehrere Häuser erheblich beschädigt. Die Marokkaner nahmen viele Fahrräder auch Bargeld und Schmuck weg. Vergewaltigungen kamen während des Durchzuges nicht vor.«

Kirchliche Gebäude seien nicht beschädigt worden. Der Pfarrer bedauert, dass einige Mädchen, die sich früher als besonders national gezeigt hätten, sich den Besatzungssoldaten gegenüber allzu leichtsinnig verhielten. Zufrieden stellt er fest, dass an dem auf die Besatzung folgenden Fronleichnamstag „der Besuch des Gottesdiens­tes und die Teilnahme an der Prozession mustergültig wie nie in den früheren Jahren“ gewesen sei.
Ludwig Fehrenbacher hatte bereits 1995 seine Erinnerungen mitgeteilt. Damals wurde auf der Haldeneck beim Mühlstein ein Denkmal für die sechs Volkssturmleute und Soldaten eingeweiht, die im Feuergefecht mit den heranrückenden Franzosen zu Tode gekommen sind. Er hatte als Fünfzehnjähriger nachts die Schüsse gehört, welche beide Seiten aufeinander abfeuerten. Am Morgen sah er, wie die Franzosen mit einem toten Kameraden, den sie auf ein Pferd banden, weiterzogen.

Lehrstück Geschichte

Abschließend dankte Vollmer dem Referenten Dr. Heinrich Schwendemann für seine kenntnisreichen Ausführungen. Durch die Beleuchtung der Hintergründe auf beiden Seiten habe er die Zuhörer nachdenklich gemacht. Dem Wiederaufleben nationalistischer Gedankenlosigkeit, wie sie derzeit da und dort zu beobachten sei, werde ein friedenstiftendes Bewusstsein entgegengesetzt. Wer nicht bereit sei, die dunk­len Seiten der Geschichte zur Kenntnis zu nehmen, laufe Gefahr diese wiederholen zu müssen, gab der Vorsitzende zu bedenken.