Kurt Spitzmüller

Der Historische Verein Nordrach zum 100. Geburtstag von Kurt Spitzmüller am 13. Mai

Die Gemeinde Nordrach hat das große Glück, dass sie innerhalb eines Jahrzehnts gleich für zwei außergewöhnlichen Persönlichkeiten Heimat sein durfte, für Erwin Junker, Jahrgang 1930, den der frühere Ministerpräsident Lothar Späth als „Weltmeister der Schleiftechnik“ adelte, und für Kurt Spitzmüller, Klinikleiter, Spitzensportler, Sportfunktionär und langjähriger Bundestagsabgeordneter.

Dass Kurt Spitzmüller einmal Bundespolitiker der Liberalen werden sollte, war sicherlich nicht geplant. Er stammt aus einer alteingesessenen Nordracher Familie, die ihre Wurzeln bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen kann. Sein Großvater Lorenz Spitzmüller hatte seinem „Gasthaus zur Linde“, am Ortseingang gelegen, noch vor dem ersten Weltkrieg ein Lungensanatorium angegliedert und später die Gaststätte aufgegeben. Seine Eltern Ludwig und Hilda führten das Lungensanatorium fort. Kurt Spitzmüller erblickte dort am 13. Mai 1921 das Licht der Welt, erlernte nach der Schulzeit folgerichtig den Beruf eines Hotelkaufmanns in Freiburg und besuchte anschließend die Hotelfachschule in Heidelberg. Nach dem Tod seiner Mutter im Jahre 1941 übernahm er im Alter von gerade 20 Jahren die Leitung des elterlichen Lungensanatoriums.

Familie Kurt und Gabriele Spitzmüller

Im Jahre 1958 heiratete der FDP/DVP- Bundestagsabgeordnete Kurt Spitzmüller Frau Gabriele Zehnder aus Villingen. Ihr Bruder Berthold Zehnder war ebenfalls FDP/DVP-Mitglied und Abgeordneter im Landtag von Baden-Württemberg. Die Hochzeit fand in Nordrach statt, musikalisch umrahmt von der Musikkapelle. Vikar Franz Bastian, auch ein hervorragender Leichtathlet, traute das Brautpaar in der Kirche. Alle Schulkinder durften, sogar während des Unterrichts, zur Kirche kommen und Spalier stehen. Zum Dank erhielt jedes Kind eine Tafel Schokolade.

Der Sohn Heinz Spitzmüller hatte kein Interesse, die elterliche Kurklinik zu übernehmen. Er arbeitete bei SAP und war einige Jahren Inhaber einer Firma in der Nähe von Heidelberg, die Hörgeräte herstellte. Zur großen Freude von Kurt und Gabriele Spitzmüller hat er mit seiner Ehefrau Nicole einem Sohn namens Tarun Maurice das Leben geschenkt.

Lungensanatorium, Kurklinik, Morada-Hotel

Kurt Spitzmüller war als Bundestagsabgeordneter überwiegend in Bonn. So gehörte es zu den Aufgaben seiner Ehefrau Gabriele, das Lungensanatorium zu leiten. Anfang der 70er Jahre wurde es geschlossen und eine Krebsnachsorgeklinik eröffnet, die sich zu einer leistungsfähigen und weithin anerkannten Einrichtung im Gesundheitswesen entwickelte.

Im Jahre 1995 verpachtete die Familie Spitzmüller die Kurklinik an die AWO. Obwohl eine allseits anerkannte Kureinrichtung, wurde diese leistungsfähige onkologische Nachsorgeklinik 1998 nicht mehr von den bisherigen Belegträgern berücksichtigt und musste geschlossen werden. Das Reiseunternehmen Skan-Tours schloss einen Pachtvertrag ab und betrieb hier nun das „Morada Hotel am Kurpark“.

Im Jahre 2009 erwarb Erwin Junker die Grundstücke der früheren Kurklinik. Der Pachtvertrag mit Skan-Tours lief 2017 aus und seither wurden die Gebäulichkeiten nicht mehr genutzt.

Erst vor wenigen Wochen, im April 2021, erwarb die Firmengruppe Orbau das Betriebsgelände und die Winkelwald-Klinik wird die Gebäude wieder für gesundheitliche Zwecke nutzen.

Mitglied im Gemeinderat, Kreistag und Bundestag

Kurt Spitzmüllers politisches Interesse wurde schon früh geweckt. Sein Vater war von 1933 bis 1945 Bürgermeister von Nordrach. Ein Onkel wurde 1944 verhaftet und in ein KZ gebracht. „Da habe ich mir geschworen, niemals in die Politik zu gehen“, erinnerte sich Kurt Spitzmüller später. Doch es kam anders. Bereits 1947 gründete er in Nordrach eine parteiunabhängige Wahlliste und wurde 1953 in den Gemeinderat gewählt, dem er bis 1971 angehörte. 18 Jahre lang saß er im Kreistag des Landkreises Wolfach, weitere fünf Jahre im Kreistag des Ortenaukreises.

Einer seiner Vorbilder war der damalige liberale Ministerpräsident Dr. Reinhold Maier. Kurt Spitzmüller trat 1948 in die FDP ein und wurde 1957 erstmals in den Bundestag gewählt, dem er mit einer zweijährigen Unterbrechung bis 1980 angehörte, insgesamt 21 Jahre lang. Sein Arbeitsschwerpunkt war stets die Sozial- und Gesundheitspolitik, da er gerade in diesem Bereich über große Praxiskenntnisse als Klinikleiter verfügte. Sein Einfluss, seine Kompetenz und Beliebtheit dokumentieren seine Ämter, sechs Jahre als stellvertretender Fraktionsvorsitzender und weitere sechs Jahre als parlamentarischer Geschäftsführer der FDP. In der sozialliberalen Koalition waren Willy Brandt und Helmut Schmidt, Dietrich Genscher und Günter Verheugen die ständigen Gesprächspartner. Zum Abschluss seiner politischen Karriere erhielt er 1980 das große Bundesverdienstkreuz mit Stern.

Spitzensportler und Funktionär

Der Sport war eine derer großen Leidenschaften von Kurt Spitzmüller, zunächst als aktiver Leichtathlet, später als Funktionär. Bereits ein Jahr nach dem verlorenen Krieg gründete er mit Gleichgesinnten den ASV Nordrach. Es gab damals in Nordrach weder einen Sportplatz noch eine Sportanlage. Doch die Leichtathleten des ASV waren schon 1946/47 auf Bezirks- und Landesebene erfolgreich. Im Mai 1947 wurde erstmals ein Sportfest in Nordrach veranstaltet, vier weitere folgten in den nächsten Jahren. Die Läufe fanden auf der Straße, im Kurpark und im Wald statt, eine Sprunggrube wurde auf dem Kirchplatz angelegt. Trotz dieser wenig einladenden Umstände meldeten sich viele Spitzensportler an. In einem Jahr gingen 22 ehemalige und amtierende Meister und Jugendmeister an den Start. Der Grund sei gewesen, erzählte Kurt Spitzmüller später schmunzelnd, dass die Sieger jeweils mit einer Buttercremetorte belohnt wurden, in der armen Zeit damals eine große Besonderheit. Kurt Spitzmüller war selbst ein herausragender Sprinter, seine Bestzeiten mit 10,9 Sekunden über 100 m und 22,0 Sekunden über 200 m waren nationale Spitzenwerte.

Bei der deutschen Meisterschaft 1950 lief die 4 x 100 m Staffel des ASV mit Kurt Spitzmüller auf den dritten Platz. Bei einem internationalen Sportfest 1951 in Basel errang die Nordracher 4 x 100 m Staffel sogar den zweiten Platz, hinter den USA, aber vor Deutschland und der Schweiz. „Wo liegt Nordrach“, fragte danach ein amerikanischer Athlet, „ist das ein Zwergstaat wie San Marino oder Monaco?“ Eine italienische Zeitung überschrieb ihren Bericht „Nordrach, das schnellste Dorf der Welt“.

Schnell, wie er war, stieg er auch in der Funktionärsebene auf. Schon 1948 wurde er in den Vorstand des südbadischen Leichtathletikverbandes gewählt, 25 Jahre dauerte diese Mitgliedschaft, davon die letzten 15 Jahre als Vorsitzender. Von 1955 bis 1972 gehörte er dem Vorstand des badischen Sportbundes und dem Beirat des deutschen Leichtathletikverbands an.

Von 1972 bis 1996 war er Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Freizeit und von 1987 bis 1997 Vizepräsident des Bundesverbandes Deutscher Privatkrankenanstalten.

Vereinsarbeit und Förderer der Nordracher Vereine

Nach seiner aktiven Zeit im Bundestag engagierte sich Kurt Spitzmüller auch wieder verstärkt in Nordrach. Er nahm an den Vorstandssitzungen des ASV Nordrach teil, dessen Ehrenvorsitzender er war. Er übernahm den Vorsitz der Kameradschaft ehemaliger Soldaten und organisierte jährlich einen Ausflug, der immer zu einem Erlebnis wurde. Auch den Verkehrsverein leitete er viele Jahre lang und regte zahlreiche Verbesserungen in den Belangen des Fremdenverkehrs an.

Regelmäßig spendete Kurt Spitzmüller den Nordracher Vereinen beachtliche Summen, mit denen sie ihre Aufgaben finanzieren konnten.

Puppen- und Spielzeugmuseum

Gabriele Spitzmüller war die Triebfeder für die Einrichtung eines Puppenmuseums in Nordrach. In der Kurklinik gehörten Bastelarbeiten mit den Patienten zur Therapie. So oft es ihr möglich war, leitete Gabriele Spitzmüller auch selbst diese Kurse. Unzählige Stoffpuppen und andere Bastelarbeiten ließen in ihr die Idee entstehen, ein Puppenmuseum einzurichten.

Das frühere Wohnhaus der Familie Spitzmüller steht im Gewann Kühlmorgen und war vermietet. Im Jahre 1991 wurde darin ein Puppenmuseum eingerichtet und eröffnet. Die Gemeinde Nordrach war für den Betrieb zuständig, Frau Spitzmüller übernahm die Leitung und sorgte kreativ für ständig steigende Besucherzahlen, so dass es viele Jahre lang mit jährlich rund 15.000 Besuchern zu den bestbesuchten Museen im Ortenaukreis zählte und kostendeckend betrieben werden konnte. Von zahlreichen Reisen brachte Gabriele Spitzmüller Puppen, Puppenstuben, Spielzeug und viele Sammlerstücke aus aller Welt mit, so dass das Museum ständig erweitert werden musste, das Obergeschoss wurde miteinbezogen, ein neuer Eingangsbereich gestaltet.

Die Gemeinde Nordrach würdigte im Jahre 2006 die Verdienste von Gabriele Spitzmüller mit der Verleihung des Ehrenbürgerrechts.

Im Jahre 2014 schenkte das Ehepaar Kurt und Gabriele Spitzmüller das Museum mit Grundstück, Gebäude und dem gesamten Inventar der Gemeinde Nordrach.

Ehrungen für Kurt Spitzmüller

1972 Bundesverdienstkreuz I. Klasse
1976 Großes Bundesverdienstkreuz
1980 Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern

Außerdem Ehrenzeichen der Deutschen Ärzteschaft und Ehrenmedaille der Deutschen Apotheker.

Im Jahre 1982 ehrte die Gemeinde Nordrach ihren großen Sohn mit der Verleihung des Ehrenbürgerrechts.

Der Nordracher Sportplatz trägt den Namen „Kurt Spitzmüller-Sportanlage“.

Die letzten Lebensjahre

Die letzten Lebensjahre verbrachten Kurt und Gabriele Spitzmüller zusammen in ihrem 1980 erbauten Wohnhaus im Neubaugebiet Grafenberg. Am 15. Dezember 2014 verstarb Kurt Spitzmüller im Alter von 93 Jahren. Er fand im Familiengrab auf dem Nordracher Friedhof seine letzte Ruhestätte. Eine große Trauergemeinde hatte sich versammelt, darunter waren auch die Sportkameraden der Nachkriegszeit. Heinz Fütterer, mehrfacher Europameister über 100 m und 200 m in den 50er Jahren, schilderte mit bewegenden Worten den Lebensweg seines Freundes und schloss mit den Worten, „Kurt war ein guter und zuverlässiger Kamerad, ein wertvoller Mensch“.