29. September 2011

Erholung im Schwarzwald diente der Propaganda

Historischer Verein Nordrach beleuchtete kritisch die NS-Ära

Nordrach (dp) 50 Personen kamen zum Ersten Geschichtstag des Historischen Vereins, um auf die vorübergehende Nutzung der Klinik Nordrach Kolonie durch nationalsozialistische Organisationen zurückzublicken. Die detaillierten Informationen hierzu lieferten Egbert Hoferer, Rolf Oswald und Uwe Schellinger.

Der Vorsitzende Herbert Vollmer begrüßte 50 Gäste zum ersten Nordracher Geschichtstag

1931 schloss Landesversicherungsanstalt (LVA) ihre Klinik in Nordrach Kolonie. Infolge der hohen Arbeitslosigkeit waren die Rentenzahlungen eingebrochen. Im Januar 1933 kam Hitler an die Macht. Bei den Reichstagswahlen zwei Monate später erhielt Hitlers Partei in Nordrach 55°% der Stimmen, was weit über dem Landesdurchschnitt lag. LVA-Vorstandsmitglied Fritz Plattner betrieb als Gauobmann der Deutschen Arbeitsfront (DAF) in Karlsruhe eine Nutzung der leerstehenden Klinik.

Nach Zerschlagung der Gewerkschaften hatten die Nationalsozialsten die DAF gegründet. In ihr wurden nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Arbeitgeber erfasste. Eines der Ziele war, den Arbeitern einen erschwinglichen Urlaub zu ermöglichen. Die dafür zuständige Abteilung erhielt die Bezeichnung „Kraft durch Freude“ (KdF). Im Februar 1934 kamen 186 Arbeiter aus dem Rheinland für eine zehntägige Erholung in Nordrach-Kolonie an. Die Hälfte dieser Urlauber waren Parteimitglieder. Die Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation (NSBO) hatte sie ausgesucht.

Antisemitische Parole

Pressewirksam wurde vor der Urlaubergruppe ein Transparent entrollt: „Die deutschen Arbeiter zur Erholung in den Schwarzwald und die Juden nach Palästina.“ Damit war klar, dass die Erholungsmaßnahme im Dienst des Antisemitismus stand, der sich in Nordrach konkret gegen die Rothschildklinik richtete. Zur Begrüßung wurde von Ortsgruppenleiter Karl Brüderle ein Aufmarsch von der Schule Kolonie zur Klinik auf die Beine gestellt; mit Beteiligung von Schulkindern, Hitlerjugend (HJ), Bund deutscher Mädchen (BdM), Sturmabteilung (SA) und Stahlhelm (Veteranen). Begrüßungsworte sprachen Kultusminister Dr. Otto Wacker aus Karlsruhe und Nordrachs Bürgermeister Ludwig Spitzmüller.

Die erste KdF-Gruppe war gleichzeitig auch die letzte. Danach nahm sich Gertrud Scholtz-Klink der leerstehenden Klinik an. Die Reichsleiterin der NS-Frauenschaft organisierte im Rahmen der NS-Volkswohlfahrt (NSV) Mutter-Kind-Erholungen. Zur Betreuung holte sie den Freiwilligen Arbeitsdienst nach Nordrach. Zeitweise arbeiteten 50 Mädchen im Heim. Ihr Tag begann mit einem Appell und abends standen politische Vorträge auf dem Programm. Doch auch diese Belegung war von kurzer Dauer. Im August 1935 wurde die Klinik wieder als Lungenheilstätte eröffnet.

Geschichtstag wird fortgesetzt

In einem zweistündigen Informationsmarathon hatte zunächst Rolf Oswald einen chronologischen Überblick gegeben. Uwe Schellinger aus Freiburg informierte über die beteiligten NS-Organisationen und Egbert Hoferer erläuterte die zahlreichen Bilder, die der Nordracher Fotograf Karl Roth zu den Ereignissen gemacht hatte und von Peter Roth zur Verfügung gestellt worden waren. Dankbar erwähnt wurde auch die Vorarbeit von Othmar Wolf. Der gebürtige Nordracher hat die Artikel der Schwarzwälder Post über Nordrach thematisch zusammengestellt.

Herbert Vollmer, Vorsitzender des Historischen Vereins, dankte den Referenten für ihre profunde Arbeit. Sein Dank galt auch denen, die Bildmaterial zur Verfügung gestellt hatten; darunter Kurt Ficht, dessen Mutter in der Einrichtung gearbeitet hatte. Die Fotos waren dem Publikum auf Wandtafeln gezeigt worden mit der Bitte, die Namen der unbekannten Personen hinzuzufügen. Am Erntedanksonntag sollen diese Fotos im Pfarrheim erneut zu sehen sein. Vollmer kündigte für den 29. September 2012 den zweiten Nordracher Geschichtstag an. Mit diesem Datum soll die Erinnerung an die Verschleppung und Ermordung der 26 jüdischen Insassen der Rothschildklinik wach gehalten werden.