23. September 2022

Leben und Wirken von Dr. Hope Bridges Adams Lehmann, Ärztin und Visionärin

Am vergangenen Freitag fand im Nordracher Pfarrheim der 10. Nordracher Geschichtstag statt. Die Professorin Dr. Marita Krauss beleuchtete das Leben und Wirken von Dr. Hope Bridges Adams Lehmann, der ersten Frau von Dr. Otto Walther. Fast fünfzig Besucher waren von ihrem Vortrag begeistert.

Frau Dr. Marita Krauss hielt einen hochinteressanten Vortrag über Hope

Die Gemeinde Nordrach und der Historische Verein Nordrach haben sich bisher nur mit Dr. Otto Walther befasst. Ihm verdankt Nordrach schließlich mit der Eröffnung seiner „Volksheilstätte“ im Jahre 1891 die Entwicklung zu einem renommierten Lungenluftkurort, zum Beinamen „Nordrach, das Badische Davos“.

Die Gemeinde Nordrach feierte 1991 das 100-jährige Jubiläum des Luftkurorts mit einem großen Dorffest. In seinem Festvortrag würdigte damals Hans-Georg Kluckert ausführlich die Verdienste von Dr. Otto Walther. Am 6. April 2013 benannte die Gemeinde Nordrach auf Antrag des Historischen Vereins den unteren Teil der Schönwaldstraße um in „Dr.-Otto-Walther-Straße“. Am 6. April 2019, dem 100. Todestag von Dr. Otto Walther, würdigte der Historische Verein erneut seine Verdienste mit einer Feierstunde in der Reha-Klinik Klausenbach, Horst Feuer hielt die vielbeachtete Festansprache.

Die erste Ehefrau von Dr. Otto Walther, Hope Bridges Adams, stand bisher nicht im Mittelpunkt der bisherigen Veranstaltungen. Dabei hatte auch sie einen großen Anteil an der Gründung der Heilstätte und deren positive Entwicklung.

Dr. Marita Krauss hat einen Lehrstuhl für bayrische und schwäbische Landesgeschichte an der Universität Augsburg. Sie ist eher zufällig auf Hope Bridges Adams gestoßen und war sofort fasziniert von dieser Frau. Akribisch machte sie sich auf Spurensuche in der ganzen Welt und es gelang ihr, so viele Daten und Fakten zu sammeln, dass sie 2005 eine umfangreiche Biografie herausgeben konnte.

Hope Bridges Adams Jugend

Hope Bridges Adams kam als jüngstes Kind von William Bridges und Ellen Adams in Hallifort bei London zur Welt. Der Vater war Eisenbahningenieur, Erfinder und Publizist, baute Kutschen und errichtete eine große Maschinenfabrik, um Federungen, Radaufhängungen und Bremsen für die Eisenbahn herzustellen. Mehr als dreißig Patente zeugen von seiner kreativen Phantasie.

In dritter Ehe von William Bridges, seine ersten beiden Ehefrauen waren jeweils früh gestorben, erblickte Hope am 17.12.1855 das Licht der Welt. Von ihrem 15. bis zum 18. Lebensjahr, 1870 bis 1873, besuchte Hope Bridges Adams das Bedfort College in London, das 1849 für die Ausbildung von Frauen gegründet worden war.

Umzug nach Dresden

Nach dem Tod des Vaters 1872 verließ Ellen Adams mit ihrer Tochter Hope London, um sich in Dresden niederzulassen. In Dresden verbesserte Hope ihre Deutschkenntnisse und erweiterte ihr Wissen. Zum Wintersemester 1876/77 schrieb sie sich an der Universität Leipzig als Gasthörerin in Medizin ein, zum Studium waren Frauen damals in Deutschland noch nicht zugelassen. Hope gelang es, die Physikum-Prüfungen abzulegen, auch wenn diese offiziell nicht anerkannt wurden. Sie durfte dann auch das medizinische Staatsexamen ablegen, wie ihre männlichen Kommilitonen. Sie erhielt schriftliche Bestätigungen, die zwar zunächst nicht galten, aber letztlich doch die Grundlage einer späteren Anerkennung bildeten. Erst 1904 wurde ihr Staatsexamen durch einen Bundesratsbeschluss anerkannt. Damit war sie die erste und bis zur Jahrhundertwende einzige Frau, die in Deutschland ein medizinisches Staatsexamen abgelegt hatte.

Nach ihrem Studium promovierte Hope Bridges Adams in der Schweiz, kehrte anschließend nach England zurück und erhielt dort die englische Approbation. Doch schon ein Jahr später beantragte sie, sich als Ärztin in Frankfurt niederlassen zu dürfen. Was war geschehen? Zeitgleich mit Hope Bridges Adams studierte Otto Walter, gebürtig in Limbach, an der Universität Leipzig Medizin. Als Hope 1880 nach England zurückgekehrt war, reiste Otto Walther ihr nach, arbeitete einige Monate in einem Hospital und warb um ihre Hand, nicht erfolglos.

Umzug nach Frankfurt

Im Juni 1881 meldete sich Hope in Frankfurt an, Otto zog bei ihr ein und ein halbes Jahr später, am 6. Januar 1882, heirateten die beiden in Frankfurt. Hier betrieben sie eine Gemeinschaftspraxis, in der sie vor allem auch arme und mittelose Patienten behandelten. Nun kamen auch Kinder zur Welt, der Sohn Heinz 1884 und die Tochter Mara 1886. Hope übte ihren Beruf weiterhin aus.

Die beiden Partner hatten noch eine weitere Gemeinsamkeit, sie waren beide aktive Sozialdemokraten. Zu ihrem Freundeskreis gehörten wichtige Führer der Sozialdemokratie, darunter Wilhelm Liebknecht und August Bebel, dessen zentrales Buch „Die Frau und der Sozialismus“ Hope ins Englische übersetzte. Sie bemühte sich auch um die sozialistische Bildung von Frauen und leitete einen Frauenlesezirkel. Während des Sozialistengesetzes geriet das Ehepaar erheblich unter Druck. Dr. Otto Walther musste damit rechnen, inhaftiert zu werden. Dies und die Erkrankung von Hope an TBC führten dazu, dass die Familie Walther 1886 Frankfurt verließ.

Ein sozialistischer Zauberberg: die Brandeck im hinteren Ohlsbachtal

Mit Hilfe sozialdemokratischer Freunde fanden sie im liberaleren Baden Zuflucht auf der Brandeck im hinteren Ohlsbachtal. Hier erprobte das Ehepaar Walther ein neues Kurkonzept für die Behandlung von TBC: Viel frische Luft, Bewegung, sorgsame Schonung und Gewichtszunahme, mit Erfolg. Nach einigen Jahren hatte Hope ihre Erkrankung weitgehend überwunden.

Gründung einer Volksheilstätte

Nun reifte in den beiden der Gedanke, ihre Therapie in einer Heilstätte anwenden zu können. Sie suchten lange nach einem geeigneten Ort, bis Dr. Otto Walther im nahegelegenen Nordrachtal auf die alten, leerstehenden Gebäude der 1850 aufgelösten Glashütte und Blauwarenfabrik des Klosters Gengenbach stieß. Nach langen und zähen Verhandlungen gelang es, die Grundstücke zu erwerben. 1891 konnte die Lungenheilstätte eröffnet werden. Nach und nach wurden weitere Gebäude errichtet und Spazier- und Wanderwege angelegt. Das „Walthersche Paradies“ verfügte bald über 40 Gebäude und lockte Patienten aus ganz Europa an, dank der Beziehungen von Hope auch aus England.

Berufliche Erfolge – Scheitern der Ehe

Carl Lehmann, der schon auf der Brandeck zum Freundeskreis gehörte, wurde Verwalter der Heilstätte. Hope hatte wohl von Anfang an ein Faible für den kräftigen und lustigen Burschen, zehn Jahre jünger als sie, und förderte ihn nach besten Kräften. 1890 begann er in Straßburg, Medizin zu studieren. Aus Sympathie wurde Zuneigung und Liebe und als Hope sich wegen Carl Lehmann 1893 von ihrem Ehemann Otto trennen wollte, verweigerte dieser den Wunsch seiner Frau, wohl auch deshalb, weil er Hope in der Heilstätte dringend benötigte. Erst 1895, als er eine neue Partnerin, gefunden hatte, willigte er in die Scheidung ein und heiratete an seinem 40. Geburtstag die gerade 21-jährige Dänin Ragnhild Bajer, ehemalige Patientin und Tochter des späteren (1908) Friedensnobelpreisträgers Fredrik Bajer.

Umzug nach München – Gemeinschaftspraxis

Hope und Carl Lehmann zogen nach München, wo sie am 8. Juni 1896 heirateten. Die beiden Kinder Heinz und Mara lebten während der Schulzeit bei der Mutter und in den Ferien beim Vater, in der damaligen Zeit ein höchst ungewöhnliches Modell.

Hope und Carl Lehmann 1899

In den Jahren ihrer schwierigen Ehesituation zwischen 1890 und 1895 schrieb Hope ihr umfänglichstes publizistisches Werk: „Das Frauenbuch“, ein ärztlicher Ratgeber für die Frau in der Familie und bei Frauenkrankheiten. Darin geißelte sie auch die weitverbreitete Verwendung der Korsette und langen Röcke. Hope selbst trug „Reformkleidung“. Das Buch erlebte allein innerhalb des ersten Jahres sechs Auflagen mit 40.000 verkauften Exemplaren.

Hope in Reformkleidung 1896

Hope führte mit ihrem Mann in München eine Gemeinschaftspraxis, mit einem gemeinsamen Sprechzimmer und gemeinsamer Buchführung. Der Tag begann für die Ärztin früh: Zwischen sieben und acht Uhr morgens verließ sie ihre Wohnung und fuhr mit dem eigenen Auto in das Krankenhaus des Roten Kreuzes, dort operierte sie vormittags und besuchte ihre Patientinnen, ebenfalls mit dem Auto. Hopes Sprechstunde zuhause begann um 15 Uhr und dauerte manchmal bis Mitternacht. Während sie anfangs vor allem wohlhabendere Patienten behandeln konnte, ging dieser Anteil ständig zurück. Denn es hatte sich schnell herumgesprochen, dass sie arme Patienten auch kostenlos behandelte und bald bildeten sich lange Schlangen im und vor dem Wartezimmer. Hope hatte sich durch ihre Hilfsbereitschaft und Tüchtigkeit einen hervorragenden Ruf erworben und genoss ein außerordentliches Ansehen. Sicherlich kamen auch viele Patientinnen deshalb zu ihr, weil sie eine Frau war, von der sie sich mehr Verständnis für ihre Probleme erhofften.

Kontakte bis in die höchsten Kreise

Das Ehepaar Lehmann wurde in München bald Mitglied verschiedenster Kreise und Zirkel, die aus ihrer Verbindung zur Sozialdemokratie entstanden. Die Lehmanns öffneten ihre Wohnung auch als konspirativen Treffpunkt für die russische Exilkolonie in München, vor allem für Lenin. Und immer wieder kam August Bebel zu Besuch.

Hope Bridges Adams Lehmann entwickelte in ihren Büchern, Aufsätzen und Vorträgen Entwürfe für das Zusammenleben von Mann, Frau und Kindern in einer zukünftigen Gesellschaft. Sie gründete den Verein „Versuchsschule“ zum Betrieb eines zweisprachigen Kindergartens und einer Schule, mit englischen Lehrkräften.

Sie erarbeitete auch ein Konzept „Frauenheim“ als Krankenhaus der Zukunft, wo die Gebärenden in Einzelzimmern untergebracht werden sollten. Unter den „Urgründern“, die den Verein Frauenheim gegründet hatten, waren namhafte Repräsentanten aus Stadt und Land. Das Projekt scheiterte letztendlich am Ausbruch des 1. Weltkriegs. Hope und Carl waren begeisterte Wanderer und Bergsteiger. An Ostern 1901 unternahmen sie gemeinsam eine Radreise über die Alpen nach Italien. 1909 besuchten Hope, ihr Mann und ihr Sohn Dr. Heinz Walther in England eines der englischen Sanatorien, die nach der Nordrach-Methode arbeiteten.

Der Erste Weltkrieg und seine schrecklichen Folgen

Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldete sich Dr. Carl Lehmann freiwillig als Frontarzt und war ab November 1914 in Valenciennes in einem Feldlazarett tätig. Im April 1915 erhielt Hope eine schlimme Nachricht: Carl Lehmann hatte sich eine Blutvergiftung zugezogen. Sie eilte zu ihm und weilte noch vier Tage am Krankenbett. Aber jegliche ärztliche Kunst war vergebens, Carl Lehmann verstarb in ihren Armen.

Hope bewahrte zwar ihre Haltung, brach aber innerlich zusammen. Sie übergab ihre große Wohnung dem Sohn Heinz und kümmerte sich sorgsam um das Gedenken an Carl Lehmann. In vier großen Alben sammelte sie Fotos von ihm. An Nahestehende sandte sie freundliche und warme Abschiedsbriefe. „Sie ist buchstäblich aus Gram nach Carls Tod gestorben“, schrieb Rosa Luxemburg. Am 10. Oktober 1916 schloss Dr. Hope Bridges Adams Lehmann, Ärztin und Visionärin, für immer ihre Augen.

Bei der Trauerfeier wurde mehrfach hervorgehoben, dass sie eine „geistige Erbschaft“ hinterlassen habe, die eine Verpflichtung für die Zukunft darstelle. Ihre Aktivitäten, Lebenskonzepte und Reformideen wirkten provozierend und sicherlich für viele Zeitgenossen mehr als utopisch.

Zum Schluss noch ein Zitat von Hope: „Die Frau ist nur dann ganz Weib, wenn sie ein ganzer Mensch ist, und nur ein ganzer Mensch, wenn sie ganz Weib ist. Es besteht kein Gegensatz zwischen Kraft und Leidenschaft, zwischen Denkfähigkeit und Mutterliebe, zwischen Entschlossenheit und Geduld, zwischen Bildung und praktischem Verstand. Im Gegenteil, diese Eigenschaften bedingen sich wechselseitig“.

Frau Dr. Krauss verstand es meisterhaft, das Leben und Wirken von Hope zu schildern. Die begeisterten Besucher dankten ihr am Ende des spannenden Vortrags mit langanhaltendem Beifall. Der Vorsitzende des historischen Vereins Herbert Vollmer überreichte ihr ein Körbchen mit Nordracher Spezialitäten. Er brachte noch einmal alle Themen der bisherigen Geschichtstage in Erinnerung und lud danach zu einem Glas Sekt ein.