Nordracher Ehrenbürgerin Gabriele Spitzmüller verstorben
Das Nordracher Spielzeug- und Puppenmuseum ist ihr Lebenswerk
Vom Sohn Heinz Spitzmüller kam die traurige Mitteilung, dass seine Mutter Gabriele Spitzmüller am 10. Juli 2022 im Alter von 90 Jahren auf Mallorca verstorben ist. Sie war die Gattin von Kurt Spitzmüller, früherer Eigentümer der Kurklinik Nordrach und 23 Jahre lang Mitglied des Deutschen Bundestags.
Gabriele Spitzmüller kam am 23. August 1931 in Villingen auf die Welt. Ihr Vater war Kreisamtmann, die Mutter versorgte einen landwirtschaftlichen Betrieb. Nach dem fünfjährigen Besuch der Volksschule wechselte sie auf das Gymnasium in Villingen. An der höheren Handelsschule schloss sie erfolgreich eine kaufmännische Ausbildung ab.
Im Jahre 1951 verließ sie Villingen, „um für das Leben zu lernen“. Drei Jahre lang lebte sie in England, zunächst auf einer Farm, dann bei einer jüdischen Dame. Dort lernte sie nicht nur die englische Sprache, sondern kam auch mit der Finanzwelt und der Kunstszene in Kontakt. Danach lebte und arbeitete sie in Südfrankreich bei einer kinderreichen Familie und anschließend verbrachte sie ein halbes Jahr in Spanien, um ihre Spanisch-Sprachkenntnisse zu verbessern.
Zurückgekehrt nach Villingen, sollte sich ihr Leben noch einmal entscheidend ändern. Ihr Vater, der auch Präsident des Landwirtschaftlichen Hauptverbands war, nahm an einer Wahlversammlung in Langenschiltach teil. Sie begleitete ihn, obwohl „sie sich für Politik damals kaum interessiert habe“. Als sie ihren Vater nach der Versammlung abholte, stand er mit Kurt Spitzmüller aus Nordrach zusammen. „Ich habe immer Glück gehabt, aber dieses Zusammentreffen war mein größtes Glück“, sagte sie oftmals zurückblickend. Im April 1958 fand die denkwürdige Hochzeit in Nordrach statt, denn Kurt Spitzmüller war damals schon Mitglied des Bundestags.
Im Jahr 1962 bereicherte der Sohn Heinz die junge Familie. Beruflich war er als Informatiker 18 Jahre bei der SAP in der Schweiz und in Deutschland tätig, davon die meiste Zeit in national wie international leitender Stellung, zuletzt als Senior Vice President. Aus eigener Betroffenheit wandte er sich danach der Hörakustik zu und führt seit 2008 ein von ihm gegründetes Hörakustikunternehmen mit Standorten in Wiesenbach und Frankfurt.
Gabriele Spitzmüller kam in Nordrach ihre gründliche Praxiserfahrung zugute. Kurt Spitzmüller war Eigentümer des damaligen Kurhauses Nordrach und als Bundestagsabgeordneter nicht mehr in der Lage, das Kurhaus zu leiten. Sie übernahm deshalb die wirtschaftliche Leitung dieses Lungensanatoriums. Im Jahre 1971 wurde das Haus umstrukturiert, um es künftig als Krebsnachsorgeklinik führen zu können. Ein 16-stündiger Arbeitstag sei damals die Regel gewesen, sagte sie ohne zu klagen.
Zu ihren Tätigkeiten gehörte auch, dass sie den Krebspatientinnen Bastelstunden anbot, in denen sie gemeinsam Puppen herstellten. „Jede Frau hat als kleines Mädchen einmal ihr eigenes Püppchen gehabt“, und diese beliebte Beschäftigung sollte sich noch auf andere Weise auswirken. Sie hatte im Herbst 1988 die Idee, mit der Gemeinde zusammen ein Puppenmuseum einzurichten, aber wo? Zunächst wurde geprüft, ob das leerstehende Dachgeschoss der Grundschule dafür geeignet wäre. Am fehlenden Aufzug scheiterte letztendlich dieser Plan. Mehrere andere Standorte wurden diskutiert, bis die Eheleute Spitzmüller schließlich ihr früheres Wohnhaus im Gewann Kühlmorgen anboten.
Der Gemeinderat stimmte freudig zu und ein gemeinsamer Vertrag sah vor, dass die Eheleute Spitzmüller die Kosten für den Umbau und die Einrichtung übernahmen sowie die Exponate zur Verfügung stellten. Frau Spitzmüller erklärte sich zudem bereit, die Leitung des Museums zu übernehmen. Die Gemeinde wurde Betreiberin des Museums, erhielt die Einnahmen und übernahm die Personal- und Sachkosten.
Innenarchitekt Gerd Speck aus Bad Peterstal erhielt den Auftrag für die Planung und Bauleitung. Der Um- und Ausbau erfolgte zügig und am 26. Juni 1991 konnte im Rahmen der Feierlichkeiten zum Jubiläum 100 Jahre Luftkurort Nordrach das Puppenmuseum Nordrach feierlich eröffnet werden. Das Museum wurde innerhalb kürzester Zeit ein Besuchermagnet. Die Besucherzahl lag jährlich deutlich über 10.000, damit war es eines der bestbesuchten Museen im großen Ortenaukreis. Gabriele Spitzmüller war Motor und Seele des Museums, das lebte und sich ständig veränderte, durch neue Ausstellungsstücke, durch die jahreszeitliche Dekoration, durch Sonderausstellungen, durch bauliche Erweiterungen. Die einzelnen Puppen, so schön und ausdrucksvoll sie auch sind, entfalten ihre Wirkung vor allem in der Gruppe, im Thema, zu dem sie zusammengestellt sind, versehen mit vielem passendem Zubehör. „Nicht so sehr die einzelnen Puppen, die Puppenlandschaften begeistern die Besucher“, so ein Zitat aus dem Südkurier.
Der Gemeinderat Nordrach beschloss, Gabriele Spitzmüller für ihre Verdienste um das Museum zu ihrem 75. Geburtstag die Ehrenbürgerwürde zu verleihen. Dr. Martin Ruch war in der Feierstunde Laudator und bestätigte ihre außerordentliche Leistung, „Frau Spitzmüller habe mit dem Museum die Museumslandschaft in der Ortenau sehr bereichert“. Bürgermeister Vollmer damals: „Mit ihrer Ernennung zur Ehrenbürgerin haben sie eine weitere männliche Bastion in unserer Gemeinde gestürmt. Sie sind nun die erste Ehrenbürgerin unserer Gemeinde, sie und ihr Ehemann sind damit auch das erste Ehepaar, das diese seltene Auszeichnung erhalten hat“.
Im Jahre 2014 schenkte das Ehepaar Spitzmüller der Gemeinde Nordrach das Grundstück mit dem Museum und dem gesamten Inventar.
Ihr großes Engagement für Nordrach kam auch in ihrem Gemeinderatsmandat zum Ausdruck. Bei drei Gemeinderatswahlen, 1984, 1989 und 1994, sprach ihr die Bevölkerung das Vertrauen aus. Zum Jahresende 1998 schied Frau Spitzmüller auf eigenen Wunsch aus dem Gemeinderat aus. Sie war die erste Frau, die dieses Amt in Nordrach begleitete.
Im Jahre 1997 verkauften die Eheleute Spitzmüller ihre Kurklinik an die AWO, die schon seit 1983 Pächterin des Hauses war. Die letzten Lebensjahre verbrachten Kurt und Gabriele Spitzmüller in ihrem 1980 erbauten Wohnhaus im Neubaugebiet Grafenberg. Ein schwerer Schicksalsschlag traf Gabriele Spitzmüller, als am 15. Dezember 2014 ihr Ehemann im Alter von 93 Jahren verstarb. Sie lebte danach zurückgezogen in ihrem Wohnhaus und wurde in den letzten Jahren von einer Sozialstation betreut. Im Jahr 2021 verließ sie Nordrach und verbrachte die letzten Monate auf Mallorca in einem Pflegeheim am Meer, ganz in der Nähe ihres dortigen früheren Ferienhauses. In diesem hatte sie insbesondere von 1984 bis 2012 viel schöne Zeit mit ihrem Mann verbracht. Ihre Schwiegertochter Nicole und ihr 12-jähriger Enkel Tarun Maurice, der auf Mallorca mehrsprachig aufwächst, leben dort ganzjährig. Ihr Sohn Heinz ist so oft bei seiner Familie in Mallorca, wie es sein Geschäft in Deutschland zulässt.
Am 10. Juli 2022 schloss Gabriele Spitzmüller für immer ihre Augen. Die Gemeinde Nordrach hat mit ihr eine außergewöhnliche Persönlichkeit verloren. Die Trauerfeier mit Urnenbeisetzung ist in der zweiten Hälfte des Monats August vorgesehen.