06. September 2025

Berührende Autorenlesung mit Anke Feuchter und der Zeitzeugin Claudine Spire

Am vergangenen Samstagabend fand eine Autorenlesung mit Anke Feuchter, wohnhaft in Perche in der Normandie, im Leseraum der Hansjakob-Halle statt. Sie stellte ihr neues Buch „Aus Liebe zu Roman“ vor. Rund 70 Besucher waren gekommen und erlebten einen berührenden Abend.

Anke Feuchter liest aus ihrem Buch „Aus Liebe zu Roman“

Der Roman „Aus Liebe zu Roman“ behandelt ein Thema, bei dem das ehemalige Lungensanatorium Rothschild eine wichtige Rolle spielt. Die französische Besatzungsmacht hatte im Jahre 1947 in diesem Gebäude eine „Pouponnière“ eingerichtet, als Sammelstelle für Kinder deutscher Mütter und französischer Väter, sog. „Bankerte“. Diese Kinder hatten ein doppeltes Stigma: Sie waren unehelich geboren und entstammten einer Beziehung mit dem »Feind«. Ihre Mütter wurden mit Nachdruck dazu bewegt, ihre Neugeborenen in die Obhut des französischen Staats zu übergeben. Die zumeist sehr jungen und unerfahrenen Mütter stimmten in der Not der unmittelbaren Nachkriegsjahre zu, wurden auch teilweise von ihren Familien dazu gedrängt und hofften, dass es ihrem Kind in Frankreich besser ergehen würde. Die Mütter mussten alle Rechte an ihren Kindern aufgeben. Die Kinder kamen vorübergehend in ein deutsches Kinderheim (Pouponnière), wo sie ein strenges Auswahlverfahren durchlaufen mussten. Erst danach wurden sie nach Frankreich gebracht und von zumeist gutsituierten Familien aufgenommen und adoptiert. Die Kinder erhielten einen neuen französischen Vornamen und den Familiennamen ihrer neuen Familie, nur Geburtsdatum und Geburtsort blieben erhalten.

Die Pouponnière Nordrach war die größte von drei in der französischen Besatzungszone, in der durchschnittlich 75 Säuglinge, zu Spitzenzeiten sogar bis zu einhundert betreut wurden. Schätzungen zufolge dürften etwa 1.500 Kinder nach Frankreich gebracht worden sein. Diese rechtlich sehr fragwürdige Aktion wurde Ende 1949 eingestellt und die Nordracher Pouponnière geschlossen.

Das Buch „Aus Liebe zu Roman“ beginnt im Jahre 1946 und endet 1964. Die Autorin Anke Feuchter beschreibt darin das Leben von Amalie in der Nachkriegszeit. Nachdem Amalie ihre Familie verloren hat und ihr Mann Alfred aus dem Krieg nicht zurückgekommen ist, steht sie mit ihrer kleinen Tochter Nadja allein da. Amalie durchlebt sehr schwierige Zeiten als Alleinerziehende von später 2 Kindern. Ihren jüngsten Sohn Roman gibt sie in den ersten Januartagen 1948 schweren Herzens zur Adoption frei. Dessen Vater war Attaché der französischen Militärregierung und deshalb wird Roman ein „Enfant d´ État“, ein deutsches Kind Frankreichs. Es kommt in die Pouponnière Nordrach und wird nach Frankreich zur Adoption gebracht. Der Gedanke an Roman lässt Amalie nie wieder los.  

Anke Feuchter las Auszüge aus dem 1. Teil des Buches, der damit endet, dass Amalie nach Nordrach fuhr in der Hoffnung, Roman noch in der Pouponnière zu finden und wieder zu sich mitnehmen zu können.

Im zweiten Teil der Lesung kam Claudine Spire, ein „Franzosenkind“, zu Wort. Sie war mit ihrem Ehemann Olivier extra zu der Lesung aus Paris nach Nordrach gekommen. Sie berichtete, dass sie im Mai 1946 in Freiburg zur Welt gekommen sei und von ihrer Mutter den Vornamen Margarete erhalten habe. Ihre Mutter habe sie als Kleinkind den französischen Behörden zur Adoption übergeben und so sei sie in die Pouponnière Nordrach aufgenommen worden. Ein kinderloses Pariser Ehepaar habe sie adoptiert, mit dem neuen Vornamen Claudine. Claudine Spire lebt heute mit ihrem Ehemann Olivier in Paris und hat Anke Feuchter über den Verein „Coeurs sans frontières – Herzen ohne Grenzen“ kennengelernt, eine deutsch-französische Selbsthilfeorganisation der „Franzosenkinder“.

Claudine Spire berichtete, dass ihre Adoptiveltern sehr offen waren und sie früh über ihre Herkunft informiert hätten. Aber erst im Alter von 50 Jahren habe sie begonnen, nach ihrer deutschen Mutter zu suchen. Mit Hilfe einer Freundin habe sie diese nach nur drei Monaten gefunden und auch zweimal besuchen können. Sie habe erfahren, dass ihre Mutter als Minderjährige schwanger und von den Eltern gezwungen wurde, ihr Kind zur Adoption freizugeben.

Claudine Spire suchte weiter, wollte noch mehr wissen, vor allem, in welchem Ort und Gebäude die Pouponnière eingerichtet war, in der sie mehr als ein Jahr vor der Adoption gelebt und noch einige schöne Erinnerungen daran hat. So kam sie erstmals 2017 nach Nordrach und konnte noch Helene Haas, die alte Stubenwirtin, kennenlernen, die in der Pouponnière Nordrach als ausgebildete Kinderkrankenschwester gearbeitet hatte. Erstaunt waren auch alle Zuhörer, dass Claudine Spire die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt und erhalten hat. Sie hat eine sehr starke emotionale Bindung zu Nordrach und der Pouponnière aufgebaut und bezeichnete den Ort, mit Tränen in den Augen, als ihre zweite Heimat.

Die Besucher dankten Anke Feuchter und Claudine Spire für diese sehr berührende Lesung und das anschließende Interview mit einem kräftigen, langanhaltenden Applaus. Petra Kühnpast von der Buchhandlung Kopf hatte reichlich Bücher besorgt. Alle wurden gekauft, versehen mit einer Widmung von Anke Feuchter.